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TÖRN 132.19 – Position 04.06.2019

Tagesbericht

Törn:                                    132.19
Datum:                                04.06.2019
Mittagsposition:              58° 39,3 N 021° 26,9E
Das Wetter:                      Flautenwetter auf der Ostsee
Titel/Überschrift:            Müßiggang und Bootsmannsarbeiten

Es ist etwas wärmer geworden, aber der Wind hat sich weithin verabschiedet.

Mit großem Engagement aller Wachen wird die Renovierung der Nagelbänke fortgesetzt. Das vermeintlich unscheinbare Holz glänzt am Ende wie Mahagoni und verleiht allem eine neue Wertigkeit. Dabei kam auch ein ultrastabiler Baulautsprecher und Krawallwürfel zum Einsatz, um ein wenig Unterhaltung zu bieten. Die einen freut es, die anderen leiden ein wenig.

Was das Holz betrifft: die weitläufige Recherche nach dessen Namen führte erst zum Erfolg, als sich der Berichterstatter an den Bootsmann wandte, Anton, genannt ‚Tönne‘. Das hätte er natürlich gleich machen können … Denn Anton weiß alles über das Schiff und vor allem auch, wo etwas zu richten ist. Tagelang überholte er in aller Stille auf der Back das Ankerspill, das neu zu streichen war. Jedenfalls, nach kurzem Nachdenken, kam die Auskunft: Das tropische Holz heißt Bongossi, auch unter dem Namen ‚Vogelsitzstangenholz‘. Es ist extrem hart, schwerer als Wasser und widersteht ohne Probleme dauerhaft dem aggressiven Seewetter.

Christine in der Verwaltung ist derweil damit befasst, die Wünsche der russischen Behörden zu erfüllen. Kein leichter Job, wenn alles in mehrfachen Ausfertigungen erstellt und gestempelt werden muss. Also lässt sie Listen umlaufen, auf denen die Besatzung ihre Wertsachen eintragen muss und in den Tiefen der Lasten sind Trainees stundenlang damit befasst, Verzeichnisse der vorhandenen Vorräte zu erstellen. Die Arbeit für den Zoll hat auch einen Effekt für die Alex: vergessene Restbestände tauchen auf, aufgeplatzte Verpackungen können entfernt werden (eine größere Tüte Mohn dürfte trotz Reinigungsmaßnahmen weiterhin nachweisbar bleiben), Ungleichgewichtigkeiten werden deutlich: wer braucht eigentlich alle diese Schokochips?

Highlight des Nachmittags: Nach Übungsfahrten des Stamms mit dem Beiboot kann jeder, der Interesse hat, eine Sightseeing-Tour mitmachen, um die im derzeitigen Ententeich Ostsee treibende Alex von allen Seiten zu fotografieren: Jeder Druck auf den Auflöser ein spetakuläres Bild unseres Segelschiffes!

Ein Vögelchen hat sich auf die Alex verflogen und flattert etwas ratlos im Klüver umher. Später ist es wieder verschwunden. Das Land ist nicht fern. Dass das Land nicht fern ist, lässt sich auch anderen Indizien ablesen. Landnähe heißt Netz, Netz heißt Smartphone an und Smartphone an heißt nach vorn geneigte Köpfe bei intensivem Studium der Handfläche. Als ob die gesamte Besatzung Trauer tragen würde …

Aus dem Leben der 0-4-Wache: Wir lernen die Rettungsinseln kennen und folgt man den Erzählungen der Kundigen sollte man vermeiden, je so ein Teil zu benützen zu müssen. Aber da dürfte man dann keine Wahl haben. Müßiggang mit Fernblick auf den Salingen. Am Abend die See endgültig spiegelglatt, die Rudergänger haben leichtes Spiel. Patrick genießt ein Feierabendbier im goldenen Licht der tiefstehenden Sonne. Im Hintergrund gleitet ein Containerschiff vorbei. Würde man das filmen, bekäme man Klischeevorwürfe zu hören. In der Nacht wieder kalt, die Sonne geht noch früher auf. Wirklich dunkel war es auch nicht, als wir um Mitternacht an Deck kamen. Das also sind die ‚Weißen Nächte‘! Oder nicht ganz. Gemeint ist ja auch eine Stadt und ihr Lebensgefühl im Sommer: Sankt Petersburg. Wir kommen zur richtigen Zeit!

Es grüßen Kapitän Ingo, Matthias und der Rest der Crew