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TÖRN 141.19 – Position 02.09.2019

Tagesbericht 02.09.2019

Törn: 141.19

Datum: 02.09.2019

Mittagsposition: 039° 14,5‘ N  /  003°30,5‘ E

Das Wetter: noch immer sehr warm, Himmel bedeckt, leichter Nieselregen, Wind NE 5, leider gegenan

 

Eindrücke von der „Nachtwache“

Jetzt sind wir bereits mehrere Tage auf See und man spürt, sich an den besonderen Tages- und Nacht-Rhythmus auf dem Schiff gewöhnt zu haben: Wachdienst, Essen, Schlafen, Freizeit, und mal Duschen muss ja auch sein. Jeder versucht sich seine Zeit optimal einzuteilen, um alle Aktivitäten “unter zu bekommen“ und vor allem zu den Wachdiensten immer fit zu sein. Gerade für die 0-4-Wache ist das nicht immer leicht. Gerade habe ich meine um 5 Uhr fortgesetzte Nacht abgeschlossen und fühle mich einigermaßen ausgeschlafen. So lasse ich die letzte Nacht Revue passieren:

Obwohl nach wie vor zu wenig Wind herrscht, um den Antrieb durch gesetzte Segel entstehen zu lassen, gab es Einiges zu tun, wie z. B. Knoten lernen und üben, denn sie müssen auch bei Dunkelheit und bestenfalls mit nur mit einer Hand gelingen. Und schließlich sind die beiden Dienste Ausguck und Rudergehen immer zu besetzen.

Ich nahm zunächst den Ausguck auf dem Vorderdeck wahr. Seine Bedeutung wird mir als wichtig erläutert, denn nicht jedes mögliche Hindernis kann durch Radar erfasst werden. Unsere Steuerfrau nimmt deshalb jede Entdeckung eines Lichtes (wie z. B. von einer Boje eines Fischernetzes) in einer Spannweite von 180 Grad vor dem Bug unserer Alex dankend entgegen und prüft es sogleich mit eigenen Augen. Diese Informationsweitergabe muss zuverlässig funktionieren, wobei stets alle Meldungen oder Kommandos vom Gegenüber wiederholt werden.

Danach war ich gespannt, das Ruder übernehmen zu dürfen – mit etwas Stolz bin ich nun also der Rudergänger. Es ist ein tolles Gefühl, das Lenken eines Schiffes im wahrsten Sinne des Wortes in den Händen zu haben. Schnell spüre ich, wie sich jede Veränderung des Ruders auf die Fahrtrichtung unserer Alex auswirkt. Viel Gefühl ist dabei gefragt, denn es besteht keine Direktheit, wie man das von einem Auto gewohnt ist.

Für unsere Fahrt liefern nur zwei Angaben die erforderlichen Informationen: Gradzahl des Ausschlags des Ruders (analoge Zeiger-Darstellung) und schließlich die Gradzahl des Kurses in einer roten Display-Anzeige, der gerade anliegt und vom Vorgänger mit entsprechendem Kommando übernommen wurde. Bei Dunkelheit muss ich diesen Geräten mein Vertrauen schenken. Mehrmals sage ich mir den Kurs 0-8-5 (für 85 Grad) innerlich selbst, um ihn ja nicht zu vergessen. Es strengt mich etwas an, ununterbrochen die beiden Angaben im Blick zu behalten und ggf. zu steuern. Denn durch Wind und Seegang werden wir wiederholt abgedrängt, was das Ruder korrigieren muss.

Während dieser Zeit bin ich in Gedanken und merke, dass “das Steuern“ wohl am intensivsten beim Lenken eines Schiffes erfahren werden kann. Dabei versuche ich, diese Erfahrung mit meinen Tätigkeiten im Beruf zu vergleiche, denn auch hier erreiche ich eine Aufgabe ordnungsgemäß nur dann, wenn ich das Ziel (also den Kurs) immer im Auge behalte und ununterbrochen verfolge. Dabei sind stets alle Rahmenbedingungen und erforderlich Daten zu beachten. Denn ergeben sich hier Einflüsse oder Änderungen, muss ich gegen steuern, allerdings mit Gefühl und mit dem richtigen Maß, um nicht danach unmittelbar erneut gegen steuern zu müssen.

Mich selbst mahnend stellte ich fest, gerade beim Umgang mit Menschen vielleicht schon einmal zu stark (oder unangemessen) agiert zu haben, weshalb ich eine entsprechend Gegenreaktion (wie das ausschlagen des Schiffes) erhielt, worauf ich mich entschuldigen musste (ebenso, wie ich den Kurs der Alex richtigstellen muss).

Eine Feststellung unserer neben mir stehenden Steuerfrau „das schaue ich mir genauer mit dem Fernglas an!“ riss mich aus den Gedanken und neugierig wendete ich auch den Blick von den Anzeigen ab. Den Blick zurückgekehrt stelle ich etwas erschrocken fest, verflixt, „ich komme vom Kurs ab“. Etwas schmunzelnd erwidert Steuerfrau Miranda, ich hätte auch auf die Anzeigen zu sehen und nicht wo anders hin. Siehe da, ein Ziel sollte also nie aus den Augen verloren werden! Damit endet auch mein Dienst am Ruder und gleichzeitig unsere Wache. Der Wachwechsel ist bereits ein bekanntes Ritual. Mit den wertvollen Erfahrungen aus dieser Nacht gehe ich unter Deck, esse etwas und setze meinen Schlaf fort.