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326.22 – 27.06.2022 – Wenn die ECDIS einen ärgern will

Törn: 326.22

Datum: 27.06.2022

Mittagsposition: Kiel, Stadthafen, Satorikai

Das Wetter: Keine Zeit zum Rausschauen; auf der Brücke: 25°C Lufttemperatur, Schweißgebadet

 

Liebe Mitsegler in Gedanken,

Liebe Alex Follower,

 

ihr alle sehnt Euch neue Informationen von Bord der ALEX II zu hören. Vielleicht träumt Ihr von grünen Segeln, dem angenehmen Wecken zu jeder (Un)Zeit, den Fladenbrot-großen Brötchen von unserem Smut sowie den aufgerissenen Händen vom Tampenziehen und -holen.

Es gibt aber auch andere Aufgaben an Bord, die einen Steuermann schon am Einstiegstag zur Weißglut bringen können und davon möchte ich Euch heute mal berichten.

Gestern wurde der letzte Tagestörn der Kieler Woche durchgeführt. Sofort danach wurde die ALEX II durch die neue Crew bestürmt. Manch einer wurde schon auf 100 Meter Entfernung sehnsüchtig an Bord geschrien und hatte nicht einmal Zeit seine Sachen aus dem Auto zu holen. Andere sind trotz aller Vorfreude die Ruhe selbst und zelebrieren das an Bord kommen Schritt für Schritt.

Heute ging es daher in aller Frühe nach dem Frühstück an die Aufgabenverteilung, um die würdevolle Ankunft für unsere Trainees und übrigen Stammcrew vorzubereiten. Oh, wie hat sich der Doc auf alle kleinen und großen Nasen gefreut. Aber auch die Kombüse hat sich auf mehr Besatzungsmitglieder vorbereitet, schließlich muss nicht nur die Qualität, sondern auch die Quantität der sagenhaften Verköstigungen gewürdigt werden können.

Und so habe ich mich an meine Aufgaben gewagt. Ich bin als zusätzlicher Steuermann gemustert. Und ich wusste ja schon was auf mich zukommen würde. Die ECDIS (Elektronische Navigationshilfe und Kartensystem) und ich sollten den ganzen Tag gemeinsam verbringen. Da prallen Welten aufeinander. Da kommen Persönlichkeiten zutage. Das wird ein Hauen und Stechen, natürlich ohne den Navigationszirkel zu missbrauchen. Meine Aufgabe war es, die Reiseplanung zu erstellen. Für den großen Teil des Vormittags konnte ich mich noch geschickt davor drücken. Ich habe mich einfach erstmal mit dem Vorgängermodell, den Papierseekarten beschäftigt. Da wurde nochmal und nochmal, und um ganz sicher zu sein, nochmal kontrolliert, ob alle ständigen und vorübergehenden Berichtigungen eingearbeitet waren. Nachdem nun die Arbeit an der ECDIS nicht mehr weiterhinausgezögert werden konnte und auch der Kapitän seine Entscheidung zum Reiseverlauf kundgetan hat, habe ich dreimal tief durchgeatmet und ran ging es.

Also hat jetzt das große Schauspiel Steuermann vs ECDIS begonnen. Auch hier wurde der aktuelle Stand der Updates kontrolliert. Danach haben wir eine vergleichbare Route rausgesucht. Diese Route wurde gedreht und am Ende und am Anfang abgeschnitten und wieder was dransetzt und angehängt. Nein, wir haben keine Flickenschusterei betrieben. Und dann wollten wir mit den Routenchecks anfangen. Aber … Oh neeeeiiiinnnnn! Nicht gespeichert. Also nochmal von vorne. Diesmal mit speichern. 1. Routen Check. 74 Meldungen. Na super. Jetzt geht es an das minimale Anpassen und hin und her schieben. Wegepunkte wurden auf die richtige Fahrwasserseite geschubst, Tonnen mit 7 Wegpunkten umrundet und durch die Brückenpfeiler des Beltbrücke haben wir eine schöne acht gelegt. Inzwischen haben wir den Routencheck schon 32mal durchgeführt. SPEICHERN! Bevor es zum Mittagessen ging.

Gottseidank gab es nach dem Mittagessen direkt die Stammcrewbesprechung und die Begrüßung der Trainees sowie die Vorstellung in den Wachen, bevor ich mich wieder mit der ECDIS auseinandersetzen musste. Inzwischen hatten wir unzählige Routenchecks durchgeführt und ich war bei 104 Meldungen angekommen. Aber jetzt braucht mich der 2. Smut unbedingt an der Gangway. Die Erholung tat mir gut, da ich mich jetzt erstmal durch einen 23seitigen Lieferschein durchkämpfen durfte. Wer Zimt zwischen Kidneybohnen und Tiefkühlgemüse auflistet, muss damit rechnen, dass so eine Proviantübernahme sich auch mal bis zum Kaffee und Kuchen hinziehen kann. Es lag also nicht an den hochmotivierten Trainees, dass sie in der Übernahmekette an Deck nicht wirklich gefordert wurden.

Wieder zurück zu mir und der ECDIS. So langsam haben wir uns zusammengerauft, schließlich müssen wir noch die nächsten 12 Tage gemeinsam verbringen. Die Route steht. Die ECDIS hat sie genehmigt. Sie ist gespeichert und wird angezeigt. Auf uns warten mindestens 500 sm. Wie viele wir da noch dazu segeln, hängt nicht von der ECDIS ab. Die sonstigen Unterlagen wie Nothäfen, Ankerplätze, Meldepunkte, Pilotenrufkanal und wo der Bahnhof in Esbjerg ist, wurden schon eruiert. Die Reiseplanung ist abgeschlossen. Es kann losgehen!

Grüße an alle Leser und Leserinnen und noch ein paar persönliche Grüße in die Rhön,

Katrin