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326.22 – 04.07.2022 – Schräge Vögel an Bord

Törn: 326.22

Datum: 04.07.2022

Mittagsposition: 56° 15,9 N, 007° 48,1 E

Das Wetter: sonnig, regnerisch, blauer, grauer Himmel

 

Was ich persönlich sehr schätze auf der Alex ist das Zusammentreffen von so vielen vollkommen unterschiedlichen Menschen, die sich an Land nie begegnet wären, die nicht erfahren hätten, worüber sich die 16-Jährige Lilly so Gedanken macht, was die 77-Jährige Sabine auf Ihren Reisen erlebt hat, welche Geschichten Jens unser Matrose über Alexander von Humboldt zu erzählen hat und wie aus dem bayrischen Zimmermann Christoph ein Seemann und hier auf der Alex ein Steuermann geworden ist. Für Christoph war es zudem ein ganz besonderer Tag – sein Geburtstag – unter blaugrünem Himmel, mit herrlichem Sonnenschein, großer Geburtstagstorte, Ständchen singen auf der Wache und in der Messe, heißer Schokolade und Kuchenessen nach der Wache, kleinen Aufmerksamkeiten und Gesten.

Für mich ist jeder Törn ein Abenteuer mit Netz und doppeltem Boden. Ich hatte mich für diesen Törn als Leichtmatrosin (Leichti) angemeldet. Als ich vor der Reise in der Email aus dem DSST Büro erfuhr, dass uns ein Verwalter fehlt, bin ich in diese Lücke gesprungen. Ich weiß, dass diese Rolle nicht unbesetzt sein sollte. Außerdem ist die Hauptarbeit in den ersten und den letzten beiden Tagen für den Verwalter zu tun, dachte ich zumindest. So fahre ich als Leichti in der 8-12 Wache und als Verwalterin. Doppelte Rollen haben hier gefühlt alle Crew-Mitglieder. Denn mit 36 Leuten wird es spätestens bei einer Halse echt eng. Da steht auch die Maschine oder der Steuermann an Deck und zieht an den Tampen, da übernimmt der Kapitän die Rolle des Rudergängers, da backt die Kombüse auf, da ist ein Toppsi auch der Bootsmann, da wird ein Leichti zur Waschfee.

Seit heute kommt zu den 36 Crew Mitgliedern ein „blinder Passagier“ dazu. Allerdings so blind ist „sie“ gar nicht. Sie hat ja den Weg über die Nordsee zu uns auf die Alex gefunden. Es handelt sich um eine Taube. Von kreativen Köpfen an Bord hat sie letztendlich den Namen Brexit erhalten. Zuerst wurde sie Jensine genannt, weil sie auf Jens (8-12 Wache) fixiert war. Dann wurde sie kurzerhand umgetauft in „Krümelchen“, denn sie bekam von allen Wachen jede Menge Kuchen- und Brotkrümel. Eine Analyse der Ringe ergab allerdings, dass es sich um eine englische Taube handelt, die 3 Jahre alt ist. Arglistige Stimmen behaupten es könnte ein britischer Agent 006 mit der Lizenz zum Deckscheißen sein, denn Sie läuft von Zeit zu Zeit ganz unauffällig um’s Kartenhaus und beobachtet die Crew. Gab schon die eine oder andere brenzlige Situation, da hätten wir sie glatt übersehen an Deck, wie auch bei der Schieflage braucht es alle Augen für das Bier, damit es in der Freiwache auf dem Weg ins Heck nicht aus den Bechern schwappt.

Für mich hat Horst (8-12 Wache) beim Geburtstagkaffee heute den Vogel abgeschossen. Er hat einfach einen so schönen, trockenen Humor. Bernd (8-12 Wache) kämpfte in der Messe bei einer Krängung von 12° gegen die Schwerkraft. Horst’s Kommentar zur Situation „Du bist ein echt schräger Vogel“. Ich habe Tränen gelacht. Es passte wie die Faust auf’s Auge. Seitdem geht mir diese Situation nicht mehr aus dem Kopf und lässt mich immer wieder schmunzeln.

Es gäbe noch mehr zu berichten von Delphinen, die uns in der Nacht eine Weile begleitet; von halben und ganzen Regenbogen, die immer wieder kurzzeitig auftauchten und uns zum Staunen gebracht haben, vom gerissenen Jager bei 8 Knoten, von gut gelaunten Smutjes, die täglich die Mannschaft kulinarisch überraschen. Aber über die beiden wird dann am 6. Juli noch mal berichtet… am Tag des Captains Dinner.

Liebe Grüße an alle Alexfreunde
Silvia (Verwalterin, Leichtmatrose)