Törn: 326.22
Datum: 02.07.2022
Mittagsposition: 57°43‘072N 009°31‘269E (Nordsee)
Das Wetter: sonnig
Liebe Freunde der Alex,
können Wellen seekrank werden? Wie viele unentdeckte Meeresbewohner gibt es wohl hier in der Nordsee? Und war das letzte Nacht der Klabautermann, der an meine Kammertür geklopft hat?
Wann habt ihr euch das letzte Mal solche Fragen gestellt?
Ich noch gerade eben, als ich eine Stunde im Ausguck auf der Back stand. Eine Stunde nur das weite Meer, der blaue Himmel und ich. Kein Stress, keine Termine, kein Handy! Da kann man zwischen Beobachten und Schiffe Melden seinen Gedanken freien Lauf lassen.
Nachdem in den letzten Tagen die Törnberichte von Trainees, Leichtmatrosen, Leichti-Anwärtern und von der Maschine kamen, bin ich heute dran, euch vom Tag aus Sicht eines der drei Wachführer (bei uns an Bord auch liebevoll Toppsi genannt) zu berichten.
Toppsi im Ausguck? Das fragen sich jetzt bestimmt die Alexfahrer unter euch. Ja, richtig gelesen: Toppsi im Ausguck! Da wir eine sehr kleine Besetzung sind auf diesem Törn (12 Trainees), hilft jeder auch in den anderen Wachen mit. Da ist dann auch schon einmal ein Toppsi im Ausguck, ein Steuermann am Ruder oder Kapitän Harald am Tampen.
Die letzte Nacht brachte uns mehrere Stunden Nieselregen, niedrigere Temperaturen, aber auch deutlich mehr Wind- leider genau von vorn, so dass auch diese Nacht nicht an Segeln zu denken war. Gegen den Wind segeln, das schafft nicht einmal unsere Alex II.
Aber wir wollen nicht über den Wind jammern, auch wenn wir ein Windjammer sind, und lassen uns die gute Stimmung an Bord nicht vermiesen. Mit Ausbildung, Tampen dichtholen, Segeln festmachen, Deck spülen, und Knoten üben, aber auch mit Liedern singen, Seemannsgarn erzählen und Ideen sammeln zum alternativen Wachwechsel kam keine Langeweile auf. In der 8-12 Wache wurden von Doc Wolfgang zur Freude aller Gedichte von Eugen Roth und Wilhelm Busch (auswendig!) zitiert. Auch Ausschnitte aus Goethes Faust waren zu hören. Außerdem berichtete Matrose Jens sehr interessant aus dem Leben von Alexander von Humboldt.
Am Morgen hatte sich der Regen verzogen und seither lacht die Sonne wieder vom blauen Himmel.
Mittags gab es eine Brandschutzübung. Es wurde ein Notfall (Brand im roten Salon) simuliert. Nachdem alle bei dem als Übung angekündigten Generalalarm mit ihren Rettungswesten an Deck erschienen waren, wurde die Vollzähligkeit überprüft. Ein Schreck- in der 8-12 Wache fehlte Trainee Lilly (sie saß, mit der Schiffsleitung abgesprochen, als „Hauptdarstellerin“ der Übung im roten Salon). Erfolgreich rückten alle Feuerstoß Trupps aus und konnten das vermeintliche Feuer löschen und Lilly mit einer gespielten leichten Rauchvergiftung dem Doc übergeben. Eine gelungene Übung!
Nachmittags wurden fleißig Instandhaltungsarbeiten am Schiff fortgesetzt. An verschiedenen Baustellen wird gearbeitet und während an manchen Baustellen noch gehämmert und geklopft wird, wird an anderen Stellen schon mit Primer (rot) oder Primer (Alu) gearbeitet. Auch hier helfen alle Mitsegler motiviert mit.
Um 1700 Uhr gab es eine wachübergreifende Ausbildungseinheit zum Thema Feuer und Brandschutz, passend zur Übung am Mittag.
Jeden Tag bieten wir drei Wachführer zwei Ausbildungseinheiten an. Jeweils um 1400 Uhr und um 1700 Uhr erzählen und erklären wir ca. 1 Stunde verschiedene Themen, z.B. Bereitschaftsboot, Anker, Sicherheit, ISM und ISPS oder Bedienung Rigg. Angehende Leichtmatrosen, Leichtmatrosen und Matrosen können hier ihr Wissen erweitern oder festigen. Es sind aber immer alle Crewmitglieder herzlich eingeladen, dazu zu kommen. Viele interessierte Trainees nehmen regelmäßig teil, ebenso wie alle Anwärter und Leichtmatrosen. Aber auch Matrosen und Steuerleute werden regelmäßig bei der Ausbildung gesichtet. So sind es jedes Mal etwa fast 20 Personen, die lernen möchten. Darüber freuen wir Wachführer uns natürlich sehr, zeigt es doch, wie groß das Interesse in der Besatzung ist.
Der gute Ausbildungsstand zeigt sich während der Wachen in den Manövern. Bisher klappte alles tadellos. Wir Wachführer sind hier vor besondere Herausforderungen gestellt. Mit nur 3-4 Trainees pro Wache muss jedes Manöver gut durchdacht und geplant sein. Wie verteile ich meine sieben zur Verfügung stehenden Personen, um das ganze Schiff zu brassen? Wie viele Personen brauche ich zum Segel setzten? Wer macht wann Ruder und Ausguck bei so wenig Personen? Und wer bleibt mir eigentlich noch zum Rost klopfen? Alles Überlegungen, die wir Toppsis so während der Wache haben.
Ich könnte jetzt noch seitenweise weiterschreiben und etwa vom guten Essen berichten (heute gab es morgens Apfelpfannkuchen, mittags Labskaus, nachmittags Kuchen und abends Rostbratwurst mit Pommes), von der tollen Stimmung an Bord berichten, von Sonnenuntergängen, Schweinswalen und Basstölpeln schwärmen, davon berichten, wie an Bord neue Freundschaften entstehen oder erzählen, wie schnell wir alle vom Alltag erholt sind, sobald wir an Bord sind. Doch stattdessen werde ich den Bericht jetzt abschicken und lieber wieder an Deck gehen. Wenn ihr mehr von uns hören möchtet, dann lest den Bericht morgen (vom Doc geschrieben) oder kommt selber an Bord!
Ich werde mich jetzt bis zum Beginn meiner Wache an die Reling stellen, auf das Wasser gucken und mir weitere Fragen stellen, z.B. ob Wolken nach Zuckerwatte schmecken oder wovon Möwen wohl träumen.
Liebe Grüße
Katrin (Wachführerin 8-12)