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154.21 – 16.04.2021 – Schulunterricht auf der Nordsee

Datum:   16.04.2021

Mittagsposition:   54°33‘41’N   003°54‘99‘E

Das Wetter:   sonnig und wolkenfrei bei 6°C

Schulunterricht auf der Nordsee

Wer von uns hätte in früheren Schulzeiten aufgezeigt, wenn die Lehrkraft gefragt hätte, wer freiwillig um 4 Uhr morgens antritt, um am Unterricht teilzunehmen? Ich denke keiner! Und hier auf der Alex II finde ich mich in meiner Morgenwache im Dunkeln am Achterdeck wieder und lausche gebannt unserem Wachführer Eicke während er mit Kreide die Besegelung der Alex II aufs Deck malt und uns die Fachwörter des Seglerlateins beibringt. Mit stoischer Ruhe wiederholen er und seine Leichtmatrosen Fritz und Jürgen unzählige Erklärungen dieses eigenen Kosmos‘. Ihnen sind keine Fragen zu blöde, sie ermuntern alle Trainees zum stetigen Ausprobieren und würzen die Wachen mit Humor und Leichtigkeit, was gerade für mich als blutige Einsteigerin in diese Großseglerwelt die Neugierde auf mehr weckt.

Ein Phänomen, das ich sowieso seit fünf Tagen unseres aktuellen Törns innerhalb der gesamten Mannschaft beobachte: pure Begeisterung für dieses Schiff, glänzende Augen, wenn die Alex unter voller Besegelung läuft und Fahrt macht (so wie heute früh phasenweise 6 Knoten) und eine enorme Hilfsbereitschaft untereinander während des gesamten Tagesablaufes. Da hilft die eine Wache der anderen in ihrer Freiwache aus, weil das Segel setzen und trimmen so Spaß macht. Da wird einem ein frisch gebrauter Ingwertee bei aufkommender Seekrankheit gebracht, ohne, dass man ihn selber bestellt hätte. Da springt das Team ein, wenn jemand in der Backschaft unter Deck ausfällt und die Backschaft, die jeden Tag unter Deck in wechselnder Besetzung das Stammteam ergänzt bedient bei Tisch die oft durchgefrorene Crew in wohltuender Zuvorkommenheit. Eine faszinierende Welt, fernab vom Alltag am Festland.

Um 13:30 wird die ganze Mannschaft heute an Deck beordert: ‚all hands‘ steht als Kommando an. Die Alex soll eine Wende fahren. Aufgeregte Hektik kommt auf, alle besetzen eine Position und jede Person ist auf einmal wichtig an Deck (und will keinen Fehler machen!), um so ein großes Schiff durch den Wind auf den anderen Bug zu bewegen. Kommandos rauschen über Deck, alle geben alles und getragen von der professionellen Ausstrahlung und dem Können der verantwortlichen und segelversierten Köpfe dieses Törns gelingt das Manöver und alle Gesichter strahlen.

Dazu kommen heute ein klar blauer Himmel und Sonne satt, was ein kleiner Trost für die schneidende Kälte ist. Weite, Wind und Wellen und ab und zu eine einsame Möve, deren Flugbahn die Alex II kreuzt. So stehe ich am Nachmittag vorne im Ausguck und bekomme eine Stunde lang kein einziges anderes Boot zu Gesicht, sauge die meditative Ruhe, die frische Seeluft in mich ein und freue mich, dass das Leben so schön ist. Hier auf dem Meer fallen alle Sorgen ab, lebt man absolut jetzt in diesem Moment, wird man getaktet durch das eingeteilte Wachsystem, braucht selber gar nicht so viel planen und denken, weil andere die Verantwortung tragen. Und dennoch fühlt man sich als Teil von diesem großen Ganzen und das ist einzigartig.

So klingt für mich ein weiterer wundervoller Tag in der Abendsonne am Achterdeck aus. Im Windschatten ist es fast schon warm und sicher werde ich auch heute wieder in einen tiefen traumlosen Schlaf fallen, bis der Weckdienst am Morgen an der Koje zum Wachwechselwecken erscheint.

(Ina aus Bremen – die anscheinend jetzt zur offiziellen Berichterstatterin auserkoren wurde)