Tagesbericht 08.08.2019
Törn: 139.19
Datum: 08.08.2019
Mittagsposition: 55° 18,6` N – 005° 55,6` W, zwischen Mull of Kintyre, Schottland, und Ballycastle, Irland
Das Wetter: sonnig, 17 Grad, vereinzelte Wolken, schwacher Wind
Titel/Überschrift: Irland im Süden
Wir segeln also nordwärts statt südlich aus der Irischen See heraus, die für ihr launisches Wetter bekannt ist. Kapitän Klaus Ricke hatte noch einmal die Wetteraussichten studiert und südwestlich von Irland ein Tiefdruckgebiet ausgemacht, das unser Wetter in den nächsten Tagen bestimmen wird. An seiner Ostflanke würde es uns demnächst starken Wind aus Süd entgegen blasen, der uns südwärts nicht vorwärts kommen ließe. Deshalb haben wir Nordkurs eingeschlagen, auf dem wir erst einmal aber nur schwachen Wind hatten, so dass die Maschine leider viel mitarbeiten musste. Unsere oben angegebene Mittagsposition ist die engste Stelle zwischen Irland und Schottland. Kurz danach sind wir auf Westkurs gegangen, um Irland nördlich zu umrunden. Das Tief wird morgen über Irland liegen und an seiner Westflanke einen kräftigen Wind aus Nordwest mit Stärken über acht Beaufort für uns bereithalten, der uns durch die Biskaya treiben soll. Dabei werden wir sicher auch kräftig durchgerüttelt, aber nachdem wir bisher ziemlich gemütlich unter der nördlichen Sonne daher geschippert sind, freuen sich alle darauf.
Der Umweg, den wir fahren und die lange Unsicherheit über den einzuschlagenden Kurs erinnert uns daran, wie schwer die Seefahrerei für die Vorgänger gewesen ist, die vor 150 Jahren und früher mit Schiffen wie unsere Alex Waren durch die Weltmeere transportiert haben. Ihre Erfahrung und Wissen um die Naturgewalten haben sie sicher in die Lage versetzt, vorausschauend zu planen. Klaus Ricke vermutet, dass sein historischer Kollege bei Dublin vielleicht vor Anker abgewartet hätte – wenn er den starken Südwest denn vorausgesehen hätte. Wenn nicht, wären Schiff und Mannschaft vielleicht in Gefahr geraten, auf jeden Fall hätten sie einen großen Zeitverlust erlitten. Reeder und Kapitän mussten aber Geld verdienen, die Mannschaft ihr Brot – das Risiko war enorm.
Wir sind gespannt, ob die Kalkulation mit dem Tief aufgeht, ob wir morgen den erhofften Wind einfangen. Heute verging die Zeit ohne große Segelmanöver – der Wind reichte zeitweise nicht mal für die Stagsegel. Stattdessen stand wieder vielfältige seemännische Ausbildung für die Trainees an und Pflege- und Unterhaltungsroutinen für den Stamm. Maschinisten und Bordelektriker boten Führungen durch die technischen Anlagen an, Steuermann und Kapitän-Stellvertreter Karl hielt in der Messe ein Seminar über internationale Sicherheitsstandards in der Seefahrt ab. Danach musste er beim größten Event des Tages nochmal ran: Er managte einen Generalalarm-Test. Der angenommene Notfall: Brand im Waschraum, eine verletzte Person. Alle mussten sich umgehend mit Rettungsweste auf dem Hauptdeck versammeln. Der Brandabwehrtrupp schlüpfte umgehend in seinen Schutzanzug, drang zum Brandort vor und erkundete die Lage. Schläuche wurden gelegt, die Ersthelfer-Staffel angefordert. Zufälligerweise sind bei unserer Reise außer unserem etatmäßigen Doc Rüdiger vier weitere Ärzte an Bord – sie fungierten als Ersthelfer. Da konnte wenig schiefgehen. Schnell standen Trage und Notfallkoffer bereit. Der Brandverletzte wäre innerhalb kurzer Zeit geborgen und versorgt gewesen. So soll es sein.
Schon die kommende Nacht soll der Wind auffrischen. Am Freitag wollen wir den Nordwestzipfel Irlands erreichen. Dann wird sich zeigen, ob und wie stark der Wind – Freund und Feind der Seefahrer – auf uns wartet. Wir sind gerüstet.
Es grüßt von Bord der Alex-2 für die ganze Crew
Wolbert