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TÖRN 135.19 – Position 27.06. – 02.07.2019

Tagesbericht

Törn: 135.19
Datum: 02.07.19
Mittagsposition: 55°  13,9 N   0,16°  47,3 E
Das Wetter: heiter bis stürmisch
Titel/Überschrift: Törn Kaliningrad-Aalborg (vermutlich)

 

27.6.2019

Am Vortag angeflogen und noch ein wenig Kaliningrad angeschaut, noch einmal im Hotel in einem bequemen Bett geschlafen – man weiß ja nie, und dann bin ich voll Vorfreude zur Alex. Endlich das erste Mal das Schiff in natura direkt vor mir, ein wirklich beeindruckender Anblick! Um den ersten Eindruck noch zu optimieren, ist sogar die Flaggenparade gesetzt, noch ein Extra-Pluspunkt.

An Bord dann darf ich gleich mal an Deck alles anschauen und mir einen ersten Eindruck verschaffen (uije – viele Leinen, oder „Tampen“ wie die hier genannt werden). Dann schon der nächste ganz große Pluspunkt: Ich habe eine 4-Personen – Kammer ganz alleine. Gewissermaßen Platz ohne Ende, ich nutze das schamlos und versuche gar nicht erst mein Gepäck in den recht übersichtlich kleinen Spind zu bekommen, sondern breite mich auf einem der anderen Betten aus.

Dann wieder an Deck unterhalte ich mich mit der Mannschaft der Vorwoche und höre (man sieht es Ihnen auch an), dass alle eher nur noch am Zahnfleisch gehen: Die Armen waren nur 32 Mann, hatten 6er-Schichten und sind auch noch etliche Halsen gesegelt. Ich bin sofort von Neid erfüllt, genau das will ich doch auch! Als begeisterter Segler möchte ich viel erleben, viel anpacken können, viel am Ruder stehen, viel lernen wie das so auf einem Rah-Segler alles funktioniert. Also aus meiner Sicht ist so eine „kleine“ Mannschaft doch optimal. Daher frage ich sofort, ob schon bekannt ist, wie das in der nächsten Woche wird. Die Antwort ist sozusagen zweideutig: Derzeit sind nur 24 Mann/Frau gebucht, aber bei Aufenthalt im Trockendock werden vielleicht noch ein paar dazukommen. Das mit 24 Mann – davon 3 Maschinisten/Elektriker, 3 Köche (Smuts), Verwalterin, Arzt, Kapitän und Steuerleute – klingt nach erheblich mehr Zeit am Ruder als gedacht! Bleibt da überhaupt eine Mannschaft über?

Aber wie ist das mit dem Trockendock, dass hatte ich am Törnplan überlesen? Nein hatte ich nicht: wegen eines Problems mit der Maschinenkühlung müssen wir nach Polen (Gdynia) ins Trockendock. Je nachdem mit wem man spricht ist da von einem Tag Aufenthalt oder drei Tagen Verzögerung die Rede, und genauso variieren die Aussichten ob wir auf dem Törn ein bisschen oder gar nicht segeln. Ganz große Optimisten finde ich leider gar keine.

Die Stimmung an Bord ist dennoch gut, wir Trainees erhalten schon mal eine Sicherheitsunterweisung und machen einen Rundgang,  erfahren dabei auch unsere Wacheinteilung. Am frühen Abend findet dann ein Empfang der deutschen Botschaft an Bord statt, neben der Alex wird ein ganzes Orchester aufgebaut und ein Catering-Service überspült das Deck mit Essen und Getränken, die Sonne lacht vom Himmel, jetzt haben wir mal wirklich keinen Grund zu klagen.

Als das Orchester und die Botschaftsgäste dann langsam wieder verschwinden, übernimmt das Bordorchester mit etwas kleinerer aber immer noch beeindruckender Besatzung (2 Gitarren, Geige, Mandoline) und etwas weniger klassischem Musikstil, und der Abend geht noch lange und gemütlich weiter….

28.6.2019

Um halb 7 wird der Proviant geliefert, alle die schon wach sind (erstaunlich viele) helfen beim Verladen mit, und das Ganze ist eigentlich recht rasch erledigt. Ansonsten startet der Tag sehr gemächlich, da wir keinerlei Zeitdruck haben – das Trockendock ist noch von einem anderen Schiff belegt. Am späten Vormittag wird es dann zumindest für die Trainees trotzdem aufregend, denn die Gangway wird weggeräumt – ein sicheres Zeichen, das es losgeht! Und tatsächlich sind wir kurz danach schon unterwegs, allerdings nur ein paar Minuten, dann wird am Zollpier wieder Halt gemacht. Wir haben im Vorfeld schon gehört, dass in St. Petersburg die Prozedur über drei Stunden gedauert hat, aber Dank belegtem Trockendock haben wir ohnehin keine Eile. Und die Zollbeamten sind etwas großzügiger und schneller: weder muss die gesamte Mannschaft das Schiff räumen zwecks gründlicher Durchsuchung, noch lassen Sie uns ganz so lange warten.

Und dann geht es wirklich los, die Alex trennt sich jetzt endgültig vom russischen Boden und wir durchfahren drei Stunden lang den Kanal von Kaliningrad in die Ostsee. Währenddessen wird die Feuer-Unterweisung durchgeführt, einerseits ein wenig Theorie und Videos anschauen, andererseits dann auch praktische Übungen mit den Wasserspritzen.

Damit ist das Pensum an Sonderthemen für den Tag erledigt, das Wach-System fängt an Wirkung zu haben, und alle genießen die erste Zeit auf hoher See!

29.6.2019

Als wir (0-4 Wache) um Mitternacht an Deck kommen und die erste Wach-Übergabe haben, steuern wir auf Kurs 030, 2 Stunden später kommt der Befehl des Steuermanns auf Kurs 170 zu wechseln. Nach erfolgreicher Durchführung frage ich mich (und dann auch den Steuermann), inwiefern eine fast komplette Drehung ohne ersichtliche Hindernisse tieferen Sinn macht. Wirklich tieferen Sinn macht Sie auch nicht, so werde ich belehrt, wir schlagen im Prinzip nur die Zeit tot, damit wir nicht schon in der Nacht in Gdynia ankommen. Zumindest ist damit das schlechte Gewissen sehr gering, wenn man am Ruder steht und die Kompassnadel mangels Übung doch mal einige Grade vom vorgegebenen Kurs abweicht ….

Am Vormittag wird dann vor Gdynia Anker geworfen, die Segler-Herzen bluten: traumhaftes Wetter, gleichmäßiger schöner Wind. Ein wenig kommt man sich fast schon verspottet vor, wenn auf der Backbord-Seite eine Optimisten-Regatta und Steuerbord eine Yachten-Regatta stattfinden, genau vorab eine kleine Flotte von einer Segelschule herumsegelt, und wir liegen mittendrin vor Anker.

Die Zeit wird so sinnvoll wie möglich genutzt, und wir Trainees bekommen die Riggeinweisung. Alle die wollen (die 5 Trainees sind alle motiviert) dürfen nach einer Einweisung und begleitet vom Stamm ins Rigg steigen, wir klettern hoch bis zur Obermars und dort dann in die Rah hinein. Sehr aufregend, sehr schöner Ausblick, ein tolles Erlebnis!

Jetzt bleibt uns dann aber nur noch zu warten auf das Trockendock – oder manche Pessimisten meinen, vielleicht fahren wir vorher noch in den Hafen, falls das doch nicht so bald frei wird…. Die

Zeit wird für Boots-Arbeiten genutzt, jeder der will wird im Bootsmann-Stuhl hochgezogen oder klettert ins Rigg, um diverse Arbeiten zu erledigen.

30.6.2019

Nach dem Frühstück kommt die gute Nachricht, das Dock ist frei! Da wir nicht wissen wieviel Platz seitlich ist, werden sicherheitshalber die Rahen angebrasst. Für uns Trainees fühlt sich das jetzt schon wie ein Segelmanöver an, Befehle werden gerufen, wir reißen die Tampen – außer, dass die Segel immer noch wunderschön gepackt sind, eigentlich alles dabei! Passend gleich danach gibt es noch die leider nur theoretische Einweisung, welche Segel mit welchen Tampen zu setzen, niederzuholen und zu brassen sind. Zum Glück gibt es ein logisches System, mit dem man den richtigen Tampen angeblich später mal ganz von selbst findet. Man muss sich nur die Namen der 24 Segel merken, und eben das logische System durchdenken, und dann ergibt sich alles wie von selbst!

Die Einfahrt ins Trockendock erfolgt, der Lotse kommt an Bord und wir haben nun einen Schlepper im Rücken. Da die Schraube im Dock nicht drehen soll, drückt der uns hinein, dann werden statt unserer Belegtaue Stahlseile vom Dock übernommen und das Schiff wird in Position gezogen. Dann scheint sich auf den ersten Blick nichts mehr zu tun, aber das Trockendock samt Schiff hebt sich schon langsam aus dem Wasser. Die Werftarbeiter schneiden währenddessen Balken zurecht, die auf beiden Seiten des Schiffs „eingeklemmt“ werden, damit das Schiff auf die Seiten stabilisiert wird. Gleichzeitig hebt der riesige Kran vom Dock Arbeiter an Bord und einige von der Mannschaft, die schon wegmüssen, von Bord runter. Auf dem Weg haben noch die wenigsten das Schiff verlassen.

Einige Stunden später steht das Schiff dann tatsächlich zur Gänze im Trockenen. Während die Maschinisten verschwunden sind und sich um das große Problem kümmern, machen sich Bootsmann und –frau wieder mit einigen Helferleins an diverse Arbeiten, um die Zeit im Trockenen optimal zu nutzen. Von kleinen Roststellen tief unter der Wasserlinie bis hinauf ins Rigg finden sich überall nützliche Arbeiten. Währenddessen lässt sich auch der 2. Smut im Rigg einweisen, und klettert gleich beim ersten Mal bis in die Royal-Rah!

Am späten Nachmittag die erlösende Nachricht: die Maschine ist repariert, alles wieder wie neu! Da die Werftarbeiter jetzt aber schon zu Hause sind, wird dennoch erst morgen früh wieder geflutet. Somit steht uns noch eine (mangels Seewasser keine Klimaanlage und sehr heißes Wetter) heiße Nacht im Dock bevor, aber dann stechen wir (wieder) in See.

1.7.2019

Tatsächlich fängt die Flutung frühmorgens an, und schon am frühen Vormittag zieht der Schlepper die Alex aus dem Dock und wir verabschieden uns von Gdynia. Leider stimmt diesmal der Wetterbericht, wir haben Wind und Welle genau von vorne. Somit stampfen wir, nachdem wir freie Gewässer erreicht haben, mit Maschinenkraft gegen Wind und Welle bei 5-6 Beaufort. Bei voller Leistung der 750 PS bewegt sich das Schiff mit 2,5 bis 3 Konten SOG vor sich hin, kurze Beschleunigungen auf 4 Knoten werden mit dem nächsten Eintauchen des Bugs wieder komplett runtergebremst. Diverse Versuche (Maschine langsamer, etwas weniger direkt gegen den Wind) ändern an der Schiffsgeschwindigkeit leider gar nichts, und die Pessimisten rechnen sich potentielle Ankunftszeiten in Aalborg aus – die alle deutlich hinter dem Törnplan liegen.  Die noch größeren Pessimisten spekulieren über Ersatzhäfen, von denen aus diejenigen, die das Schiff verlassen, ihre

Züge oder Flüge vielleicht doch noch erwischen könnten. Über Hafenfest, Crew-Parade, Besichtigung der anderen Schiffe und ähnliches wird nun nicht mehr geredet.

Der hoch motivierte 2. Smut kommt samt Klettergurt wieder an Deck. Da er keine Erlaubnis für das Klettern im Rigg bekommt, darf er stattdessen auch mal das Ruder führen, und tut auch das mit großer Begeisterung. Somit hat die Reise schon mal den Zweck der Stiftung erfüllt und zumindest einen mit Begeisterung für das Segeln erfüllt – und das, ohne jemals ein Segel gesetzt zu haben!

2.7.2019

Da ich mich vor der 0-4 Wache schon ausgeruht habe, wache ich um kurz nach 7 schon wieder auf, und irgendwas stimmt da nicht. Statt gegen die Wellen zu stampfen, liegt das Schiff deutlich auf der Seite und rollt ein wenig vor sich hin. Zuerst denke ich, dass wir wohl vor Anker liegen, was aber mitten in der Ostsee unwahrscheinlich ist, und wir hatten doch auch Zeitdruck? Daher fällt mir ein zweite Alternative ein: wir haben Segel gesetzt! Blitzschnell bin ich angezogen und mache mich ungläubig aber mit Vorfreude auf den Weg an Deck. In der Messe ist der Weg schon wieder zu Ende, denn dort erfahre ich, dass wir mit Maschinenschaden vor dem Wind treiben. Den Weg aufs Deck finde ich dann trotzdem, das will ich auch mal gesehen haben. Das Boot liegt parallel zu den Wellen, der Wind drück es ein wenig auf die Seite, und wir treiben eben vor uns hin. Die stehende Wache trotzt ihrem Namen, alle bis auf den Topsi und einen Trainee liegen alle anderen irgendwo auf Deck und schlafen den Schlaf der Gerechten…

Beim Frühstück spekulieren wir, mit welcher Meldung man die nächste Wache wecken und motivieren könnte. Am besten gefällt uns alles Positive in die Meldung zu verpacken: Es ist ein wunderschöner Morgen unter blauem Himmel, der Wind ist konstant bei 6 Beaufort, das Boot liegt ruhig im Wasser, auch der Lärm der Maschine ist weg, an sich ist fast alles perfekt.

Nach zwei Stunden spüren die feinfühligen ein vibrieren im Rumpf, und tatsächlich fängt das Schiff auch an sich zu drehen: Die Maschine läuft, wir nehmen Fahrt auf und rasen nun wieder mit rund 2,5 Knoten auf unser Ziel zu. Das Treiben hat uns etwas unter 3 Stunden Zeit und 1 Seemeile gekostet.

Wir sind alle sehr gespannt, wie es nun weitergeht…..

 

Geschrieben von: Maximilian Salzer, Trainee an Bord auf Törn 135.19