Törnbericht 2. Teil – wir segeln!
2.7.2019 – Fortsetzung
Wach aber geistig abwesend, da mit dem ersten Bericht beschäftigt, werde ich (zurecht) nicht geweckt – was mir erst wenige Minuten vor 12 auffällt. Zeit zum Essen bleibt somit nicht, aber ich gehe mal davon aus, dass mir unserer Topsi während der nächsten Maschinenwache etwas Zeit dafür gönnen wird, wirklich unter Druck stehen wir ja nicht – also hinaus aufs Deck. Doch dort ertönen aus dem Mund des Steuermanns fast schon magisch anmutende Worte: „Wir setzen Segel“! Die eben noch eher müde und gelangweilt wirkenden Gesichter erhalten ein feines Strahlen, der Hunger ist vergessen, die Motivation kennt keine Grenzen. Das kleine Wunder möglich gemacht hat, dass „geradeaus gegen Wind und Welle“ keine Chance auf ein rechtzeitiges Ankommen in Aalborg gelassen hätte. Daher hat die Wache vor uns unter Maschine einen Umweg in die Nähe der schwedischen Küste gemacht, da dort weniger Welle sein sollte. Wir setzen nun die unteren Stag-Segel sowie den Außenklüver. Jedes Segel wird gefeiert, wir sind schlussendlich nur eine 5-Mann/Frau-Wache, wobei auch unser Steuermann immer wieder kräftig mithilft – dafür fehlt uns der Rudergänger, einer muss ja den Kurs im Auge und im Griff haben. Schon nach dem ersten gesetzten Segel setzt sich das Segel-Gefühl ein, das Leuchten der Gesichter wird nochmal stärker! Am Ende der Wache sind 4 Segel gesetzt, die Rahen gebrasst, die Schiffsgeschwindigkeit hat sich von 2 bis 3 auf 7 bis 8 Konten erhöht, Klar-Schiff ist gemacht, und eine ganze Wache wird nur noch vom Adrenalin auf den Beinen gehalten – und der Tatsache, dass die Smuts uns mal wieder mit Kuchen verwöhnen! Wie das geht bleibt uns ein Rätsel, denn einer der beiden ist vorübergehend kampfuntauglich wegen Seekrankheit, und der andere hat uns beim Segel-Setzen und Klarschiff machen geholfen. Wie gesagt, auf der Reise hat zumindest einer mit Sicherheit das Segeln für sich entdeckt!
3.7.2019
Etliche Stunden später werden wir kurz vor Mitternacht für die nächste Wache geweckt, leider ist das Schiff wieder in seinen alten Rhythmus zurückgekehrt – Segel sauber verzurrt, wir stampfen gegen Wind und Welle. Aber alles kein Problem, wir sind immerhin schon einmal gesegelt! Um Punkt 0 Uhr stehen wir wieder bei der Wachübergabe, und glauben kurz an ein verspätetes Echo, als unser Steuermann wieder den Befehl zum segel-setzen gibt. Aber nein es ist Tatsache, wir machen uns wieder an die Arbeit, diesmal sind „nur“ 3 Segel geplant, dafür sind kurz nach Mitternacht keine Helfer aus anderen Wachen dabei. Somit sind wir diesmal wirklich nur zu viert, aber dafür haben wir ja schon viel Erfahrung aus der Wache davor – damit ist das Ganze fast ein Kinderspiel. Am Ende der Wache übergeben wir wieder ein schön aufgeklartes Schiff, und gebrasst haben wir auch wieder – langweilig ist uns sicher nicht geworden.
Das „Wachbier“, bestehend wieder aus Corn-Flakes, Nutella-Broten, Tee – ja gut und auch aus dem einen oder anderen Bier – wird genossen wie nie davor oder danach, die Zufriedenheit ist greifbar, die Stimmung super!
In der Nachmittagswache segeln wir in den Kanal zwischen Köpenhagen und Malmö hinein. Wenn der Steuermann dann plötzlich statt 2-6 mal je Stunden in 10 Grad-Sprüngen die gewünschte Richtung plötzlich fast jede Minuten auf 2 Grad genau angibt, ist das auch wieder ein spannendes Erlebnis.
Auch der Rest der Mannschaft ist wieder optimistischer, denn Aalborg mit geplanten Abfahrten und Abflügen rückt wieder in greifbare Nähe, die Schiffsgeschwindigkeit bleibt gut….
4.7.2019
Nachdem in der Nacht wieder unter Motor gegen die Wellen angekämpft wurde mit Geschwindigkeiten knapp über Null, setzt diesmal die 8-12 Wache Segel. Der Wind dreht auch noch ein wenig in die richtige Richtung für uns, die drei schon bekannten Stagsegel werden so dicht wie möglich genommen, und so gelingt es tatsächlich direkten Kurs auf den geplanten Treffpunkt mit dem Lotsen zu nehmen.
Auf Grund der zeitlichen Situation wird die Hälfte des Captain-Dinners schon zu Mittag serviert, und unsere Hochachtung vor den beiden Smuts wächst ins Grenzenlose. Trotz Lage und Seegang haben die beiden ein Hauben-Menü gezaubert, das keine Wünsche offen lässt. Derart gesättigt freuen wir uns als wir zu Mittag die Wache übernehmen können. Die Segel sind schon gesetzt, aber unser Steuermann will noch das Letzte aus dem Schiff herausholen (soweit mit den 3 Segeln halt möglich), und so brassen wir mal wieder um. Da der Wind doch immer wieder dreht, gibt der Steuermann statt einem Kompasskurs „hart am Wind“ vor, und einer nach dem anderen „kämpfen“ wir am Ruder mit dem Wind und ringen ihm jede Meile einzeln ab. Bei rund 7 Beaufort und immer wieder kurzen Regenschauern nicht immer ein reines Vergnügen, aber jedenfalls eine spannende Erfahrung – und die unter Deck müssen inzwischen Reinschiff machen…
Als Belohnung für unsere Bemühungen gibt es dann um 17 Uhr eine ausführliche Maschinenführung durch den 1. Maschinisten, der uns auch die verstecktesten Winkel am Schiff zeigt und alle Fragen geduldig beantwortet.
Und als wäre das noch nicht genug, findet dann noch der 2. Teil des Captains Dinners statt. Leider mit einer erheblichen Einschränkung, der Captain selbst bleibt auf der Brücke weil der Lotse erwartet wird. Das Essen schmeckt dennoch hervorragend, zur großen Freude einiger gibt es auch ausreichend für den einen oder anderen Nachschlag – die Smuts werden mal wieder gefeiert!
Gegen 23 Uhr laufen wir dann in Aalborg ein, was manche noch zum Feiern nutzen, andere einfach komplett verschlafen!
5.7.2019
Noch ein letztes Mal verwöhnt uns die Kombüse mit Pfannkuchen, und dann ist für manche noch Zeit für Besichtigung der unglaublich vielen schönen Schiffe im Hafen oder auch der Altstadt, andere brechen sehr früh auf, in Summe herrscht jedenfalls Aufbruchsstimmung. Einige neue Freundschaften wurden geschlossen, viele Erfahrungen gemacht, es war eine sehr ereignisreiche Woche!