Blog

TÖRN 132.19 – Position 07.06.2019

Tagesbericht

Törn:                                    132.19
Datum:                                07.06.2019
Mittagsposition:              60° 01,5 N 029° 08,6 E
Das Wetter:                      Die Ostseewetter zum Kartenhäuser bauen
Titel/Überschrift:            Ein Tag mit dem Unterwasserbesan

Backschaft in der Pantry: Das ist schon mal ein schweißtreibender Job. Noch besser aber ist es in der Kombüse: Pirogenteig ausrollen, die halbwegs runden Fladen mit Hack und anderem füllen, zuklappen und dann noch mit Zierfurchen versehen. Da wird einem noch deutlich wärmer, da irgendwo das Fleisch brutzelt, eine Küchenmaschine vor sich hin rödelt und vermutlich noch andere Wärmequellen vorhanden sind. Von der Stirne heiß … Aber ist für einen guten Zweck: das Captain’s Dinner heute Abend.

Derweil wird die Fahrrinne immer enger, wir nähern uns der Stadt, die Zar Peter aus dem Sumpf stampfen ließ und zur Hauptstadt des Reiches machte, wo die Revolution 1917 ihren Ausgang nahm und die bald darauf wieder von Moskau abgelöst wurde.

Als erstes tauchen die maroden Verteidigungsanlagen von Kronstadt auf, die Petersburg vor Angriffen von See schützen sollten. Im Hintergrund bereits eine goldene Kirchenkuppel, die auf die Pracht der vor uns liegenden Stadt vorausweist.

Der Horizont hat sich verdüstert und kurz nach Kronstadt fahren wir in einen ordentlichen Schauer hinein, der sich aber bald wieder verzieht. Noch ist es mehr als eine Stunde, bevor tatsächlich Petersburg in den Blick kommt. Oder besser gesagt: die Außenbezirke der Stadt. Endlos durch Kanäle, entlang Kaimauern, an denen Frachter liegen, unter einer gewaltigen, doppelstöckigen Autobahnbrücke hindurch, bis wir endlich in die Newa einbiegen können. Rein optisch betrachtet, hätten wir mit unseren Aufbauten nicht unter der Brücke durchpassen dürfen, aber sie war dann doch hoch genug.

Linker Hand riesige Schiffe der russischen Atomflotte, Eisbrecher vermutlich, denn ihr Heimathafen ist Murmansk. Nichts allerdings weist darauf hin, dass sie mit Atomreaktoren betrieben werden, denn es sind keine Warnschilder oder Sicherungsanlagen zu erkennen. Vielleicht werden die Schiffe anderswo mit den Reaktoren bestückt. Deutschland hatte ja auch einmal einen atombetriebenen Frachter, die ‚Otto Hahn‘. Was ist eigentlich aus der geworden?

Als die ersten Paläste am Newa-Ufer auftauchen, ist klar, dass wir uns unserem Ankerplatz nähern. In einem eleganten Einparkmanöver brachte Kapitän Ingo die Alex hinter einem kleinen Luxuskreuzfahrtschiff an den Kai. Natürlich war es von vornherein klar, dass er nicht an dem Kreuzfahrer entlangschrabbern würde, aber der unbedarfte Laie konnte die größten Befürchtungen haben.

Dann also liegen wir am Embankment ‚Leutnant Schmidt‘ fest, einem absoluten Logenplatz: Vor uns erstreckt sich das Panorama der Stadt, beherrscht von der goldenen Kuppel der Isaaks-Kathedrale.

Noch aber darf niemand an Land, bevor nicht Zoll- und Passbehörden mit ihren Anforderungen zufrieden gestellt sind. Drei schicke russische Beamtinnen quartieren sich im Roten Salon ein, während wir winzige Zettel („Verdammt, jetzt muss ich auch noch meine Brille holen!“) mit den sowieso schon erhobenen Daten ausfüllen, um schließlich erleichtert das Placet der gestrengen Damen zu erhalten.

Aus dem Leben der 0-4-Wache: Irgendwer hat in einem entlegenen Winkel eine Flasche Sherry, Marke ‚Sack‘ entdeckt, die natürlich auf keinen Fall, da nicht deklariert, dem Zoll in die Hände fallen darf. So findet sich achtern überraschend schnell die komplette Wache ein, um der Gefahr entschlossen vorzubeugen. Ein Schluck für die Fluss- und Meeresgötter, und dann wird in fröhlicher Runde das Erreichen des Ziels gefeiert und dem Toppsi höchstes Lob ausgesprochen: Das war ein ein Törn der Superlative, auch ohne Wind.

Dann endlich Ansprache von Ingo auf dem Hauptdeck, Danksagungen und Umtrunk (‚Steuermanns‘ Weiß oder Rot) und in fröhlich-erwartungsvollem Schwall hinunter in die Messe, wo schon wunderschön eingedeckt ist.

Ein russisches Menü ist angesagt: Borschtsch, Piroschki, Sibirische Pelemi, Boeuf Stroganoff und zum Abschluss Blini. Die Stimmung steigt hörbar und wird noch immer besser, als die einzelnen Wachen sich bei ihren Toppsis mit einfallsreichen Versen, Kurzszenen und Geschenken bedanken. Man erlaube dem Berichterstatter, hier nicht in die Details zu gehen, denn er hat für den 11. seinen Rückflug gebucht. Die Beschreibung würde epische Ausmaße annehmen müssen.

Als nach Mitternacht das Gelage beendet ist, erklingt auf dem Hauptdeck Musik. allmählich wagen sich Tänzerinnen und Tänzer hervor, andere schauen dem Treiben aus der Ferne zu. Es ist eine laue Nacht, in Hintergrund liegt die erleuchtete Stadt, die Newa überspannt von einer weiten Brücke, die sich um 1 Uhr 30 Ortszeit teilt und die wartenden Schiffe weiter die Newa hinauffahren lässt. Mit diesem Bild, das jede und jeder mit eigenen Erinnerungen ausmalen mag, endet der Bericht über unseren Törn von Gdynia nach Sankt Petersburg. Das letzte Wort hat die Dichterin, mag sie den Horizont auf See oder den Himmel über der einst kaiserlichen Stadt im Sinn gehabt haben:

And the sky – so vast a gesture / lifts me from my heart …(Und der Himmel – eine so weite Geste, hebt mich aus meinem Herzen … Lavinia Greenlaw)

Es grüßen Kapitän Ingo, Matthias und der Rest der Crew