Als sich am Morgen nach dem Frühstück um 08:18 Uhr der Anker lichtete, war dies auch der Moment an dem das Bordleben langsam wieder aus tiefem Schlummer erwachte. Der Tag zuvor hatte die Alex 2 und ihre Besatzung über eine stürmische See geführt. Und dem entsprechend war die Freude, als sich die Ersten auf Deck begaben und den leicht wolkenverhangenen, aber regenfreien Himmel mit sonnigen Lücken sahen.
Die Ansprache des Kapitäns hatte uns bereits darauf eingestimmt, eine ruhige Fahrt durch einen sehr eindrücklichen Fjord Norwegens zu erleben. Doch was wir zu sehen bekamen, war wie meistens, wenn Worte die Wirklichkeit abzubilden versuchen, ein viel zu marginaler Ersatz für das, was das eigene Erleben bietet.
Der Ort, in welchem wir zur Nacht hin Schutz vor den Elementen gesucht hatten, war eine kleine Inselgruppe in der Nähe von Stavanger im Linesundet. Nach Starten der Maschine fuhr die Alex 2 in Richtung Osten los. Die Landschaft bot einen traumhaften Einblick. Um uns herum lagen kleine Inseln mit einsiedlerischen Gebäuden und Schafherden, die bei gedämpftem Sonnenlicht nahezu unverrückbar wirkten. Diese Inseln wurden hinter malt von unscharfen Berghängen, die zu weit weg waren, um sie völlig klar sehen zu können. Zwischen diesen weit entfernten Gebilden mit ihren steilen Hängen schien es beinahe, als ob das Meer nach unten wegklappen würde und sich hinter der sichtbaren Kante keine befahrbare Oberfläche mehr böte.
Der Kurs veränderte sich indes nach Südosten und die Welt um uns herum wurde heller. Die vereinzelten Wolkendecken, die für das diffuse Licht gesorgt hatten, zerrissen in immer kleiner werdende Streifen, die am Ende einen blauen Himmel offenbarten. Und so wie das Wetter sich mit dem Kurs verändert hatte, so veränderte sich auch die Landschaft. Die kleinen Inseln, die uns umgeben hatten, wurden von längeren Küsten abgelöst und die schroffen Felshänge in der Ferne gewannen langsam an Konturen. Die Berge wurden höher und boten mit ihren bewaldeten Steigungen mehreren Ortschaften eine Heimat. Einige Zeit später wurden wir von bewaldeten Hügeln und einigen schroffen Abbrüchen umringt. Zudem reihte sich eine Fischfarm an die nächste und der Seeverkehr nahm langsam zu.
Als sich die Wasserstraße verjüngte, hatte sich das Deck nicht bedeutend geleert. Die Anstrengung des Wetters vom Vortag und die Müdigkeit durch die vielen Manöver unter Segeln verflogen bei jeder Einzelheit, die der faszinierten Besatzung ins Auge fiel, und die Stimmung an Deck wurde dementsprechend immer gelöster. Auf der Höhe von Forsand führte uns dann ein scharfer Einschlag nach links in den Lysefjord, welcher das Ziel unserer ersten Fahrt darstellte. Sofort wurde es zugig, da die Berge, die uns zuvor geschützt hatten, jetzt einem überfluteten U-Tal Platz boten und die Felshänge, die sich auf beiden Seiten befanden, nahmen mit jeder Minute an Wildheit und Höhe zu. Bald fuhren wir unter einer Brücke hindurch, die beide Seiten des Fjordes dem Autoverkehr zugänglich machte, und kurz danach spannte sich eine Hochspannungsleitung über uns hinweg, welche einen solchen Weg zurücklegen musste, dass die Kupferdrähte beinahe die Hälfte des Weges nach unten durchhingen. Doch sowohl die Brücke als auch die Leitungen waren hoch genug, um der Alex die Weiterfahrt zu erlauben. Nach Aussage der Menschen, die sich für den besseren Überblick bereits in die Wanten geschwungen hatten, war noch deutlich Freiraum zwischen den hochstehenden Masten und den Bauten.
Die Fahrt zwischen den meist unerklimmbaren Felswänden hindurch führte uns schließlich zum Ziel unseres Kurses, so dass wir um 11.05 Uhr die Maschinen stoppten und die Alex 2 vor sich hintreiben ließen. Das war das Zeichen auf das viele gewartet hatten. In Windeseile wurde das Beiboot zu Wasser gelassen und bemannt. Andere installierten indes eine Leiter an der Backbordseite des Schiffes, während wieder andere ihre Badesachen anzogen und kurz darauf hüpfend und armwedelnd den Kreislauf versuchten, für die bevorstehende Abkühlung in Schwung zu bekommen. Der Kapitän klärte noch über das Sicherheitskonzept auf, welches das bemannte Beiboot als Rettungsgefährt zum Inhalt hatte.
Und schon ging es los. Neunzehn Personen stürzten sich in die kalte Nordsee. Ein Teil von ihnen blieb beinahe 20 Minuten in den 15 Grad warmen Fluten. So lange eben, bis die Glocke zu Tisch rief und das Mittagessen auf dem Tagesplan stand. Derart erfrischt gingen die Attraktionen nach dem Essen nahtlos weiter. Das Beiboot, welches sich noch im Wasser befand, wurde zur Beschauung des eigenen Schiffes bereitgestellt und es wurden darauf Touren angeboten. Je weiter man von der Alex wegfuhr, desto kleiner und zerbrechlicher wirkte das Schiff in dieser üppigen Landschaft aus Felshängen und Waldstreifen.
Nach den Fahrten wurde das Beiboot wieder an Bord gehoben und kurz darauf nahm das Schiff wieder Fahrt auf. Zunächst setzten wir an schäumenden Wasserfällen vorbei, die die Gischt bis auf die hintersten Ecken der Alex 2 trugen. Und danach ging es die Strecke zurück, die wir gekommen waren, bis wir gegen 19.00 Uhr bei einer anderen Inselgruppe ca. 10 Meilen nördlich von Stavanger wieder den Anker warfen und die Fahrt ihr Ende fand.
Die vielen Eindrücke waren neben der Freude, die sie ausgelöst hatten, auch eine Quelle der sattsamen Müdigkeit. Man spürte die Wirkung vor allem an den ständigen Versuchen, das gesehene irgendwie in Worte zu fassen. Meist war das einzige, was als taugliche Beschreibung herauskam, etwas wie: Ist schon schön hier. Oder auch: Was für eine Landschaft. Derart übersättigt führten sich die Gespräche noch weiter, bis die Nacht und der Schlaf einen nach dem anderen einfingen und bis zum nächsten Morgen in einer warmen Umarmung hielten.
Nur die Ankerwache blieb an Deck.
Die Crew der Alex2
Text: Nils / Zeichnungen: Clara