Tagesbericht
Törn: 184.21
Datum: 14.07.2021
Mittagsposition: Südlich des Langelandsbelt, südwestlich von Lolland, Dänemark
Das Wetter: Ca. 20 Grad, leicht bewölkt
Titel/Überschrift: So geht eine Halse
„Rainer, es sind 19 Grad.“ Eine junge Männerstimme riss mich aus meinen Träumen. Nachdem ich, wie immer um 6 Uhr aufgewacht bin, obwohl ich bis zu diesem Zeitpunkt nur ca. fünfeinhalb Stunden geschlafen hatte, der Biorhythmus arbeitet einfach zuverlässig, habe ich mich umgedreht und muss nochmals tief eingeschlafen sein. „Wie viel Uhr ist es?“ brachte ich als Frage schlaftrunken gerade noch heraus. „7 Uhr“ war die Antwort. Wer war das (eigentlich), der mich heute geweckt hat – das muss ich im Laufe des Tages noch herauskriegen!? Auf jeden Fall keine charmante Frauenstimme.
Da ich in der 8/12er Wache eingeteilt bin, also von 8 – 12 Uhr und abends von 20 – 24 Uhr Wache habe, war also nicht viel Zeit, über den Weckdienst nachzudenken, sondern aufstehen, Zähne putzen, duschen, frühstücken und „ab zur Wache.“ Fünf Minuten vor Dienstbeginn stehen wir alle in Reih´ und Glied´ zum Wachwechsel auf dem Poop-(Achter-)Deck – Ordnung muss sein, Kodex ist Kodex.
Die Hundewache (0/4er) und die Sonnenaufgangswache (4/8er) hatten noch einige Segel gesetzt und wir segelten mit ca. 4,5 Knoten nördlich von Fehmarn durch die Ostsee. Kapitän Tilman Hebekus erklärte uns, dass wir um 11 Uhr eine Halse fahren. Und dazu gab es, neben den „normalen“ Arbeiten einer Wache, einiges vorzubereiten. Da die Segelstellung zum Wind immer gleichbleiben muss, sonst klappt das mit dem Vortrieb nicht, sieht es so aus, als ob das Schiff unter den Rahen gedreht wird und dann wieder in die andere Richtung zurückfährt. Da dies aber nicht geht, werden die Rahen an den beiden Masten, auch Topps genannt, also am Vortopp und Großtopp gedreht, während das Schiff halst, also die Fahrtrichtung ändert. Das ist nicht nur ganz schön viel Arbeit, sondern auch ganz schön anstrengend. Wir bargen zunächst das Unterbesansegel, dann das Groß, dann die Fock. Als alles vorbereitet war, weckten wir die 0/4er Wache zur Hilfe. Um 17 Uhr fuhren wir die nächste Halse – schließlich wollten wir ja irgendwann und irgendwie weiter nach Norden kommen. Und da wir nun mal ein Segelschiff sind, richten wir uns nach dem Wind. Auch wenn Kapitän Tilman beim Abendessen trocken meinte, „bei dem Wetter kann ja jeder halsen“, so verriet sein zufriedenes Grinsen, dass wir tadellose Halse gefahren sind und er mit uns, mit sich und mit der Welt zufrieden war. So schön kann Segeln sein.
Zwischen den beiden Halsen rief unser Bootsmann Felix zur Bootsarbeit. Das Wetter bot sich geradezu dafür an. Es war trocken und nicht zu heiß, da es heute überwiegend bewölkt war. Und dazu sind nicht nur die stehende Wache, sondern auch die Freiwachen, die nicht gerade in ihren Kojen im Tiefschlaf liegen, zum Helfen „eingeladen“. Schließlich fahren bzw. segeln wir nicht nur mit dem Boot, sondern wir sind auch für dessen ordnungsgemäßen Zustand und dessen Erhaltung verantwortlich. Also wurde der Rost abgeklopft und abgeschliffen, es wurde gestrichen und selbstverständlich alles wieder tipp top saubergemacht. Die ALEX2 strahlt, unser Bootsmann Felix strahlt und Kapitän Tilman auch. Was will man mehr.
Ein Ereignis vom gestrigen Dienstag muss ich noch nachreichen: Da die Mündung der Trave in die Ostsee mit einigen Untiefen versehen ist, hatten wir bei der Ausfahrt einen Lotsen an Bord. Auch wenn die See sehr ruhig war – wir hatten ca. 0,5 Meter Welle – war es doch sehr interessant zu beobachten, wie das Lotsenboot schaukele als es, mit dicken LKW-Reifen abgefendert, für einen kurzen Moment an der ALEX2 andockte und der Lotse auf das Lotsenboot untertritt. Wie das wohl bei 2-3 Meter Welle abläuft?
So, jetzt muss ich aber los, um 2000 geht meine nächste Wache los. Und schließlich will ich pünktlich beim Wachwechsel sein.
Rainer Merkhofer