Tagesbericht
Törn: 151.21
Datum: 07.04.2021 – Mittwoch
Mittagsposition: Auf der Weser – Zwischen Bremer und Bremerhaven
Das Wetter: Wolkig und bedeckt
Titel/Überschrift: Wenn einer eine Reise tut, dann hat er viel zu erzählen
„When the night, has come and the land is dark, and the moon ist he only light we´ll see. No I won´t be afraid, oh I won´t be afraid, just as long as you stand, stand by me. So darling, darling stand by me, oh stand by me, oh stand, stand by me.“ Dieser Weckruf schallte heute Morgen aus den Lautsprechern. „Ja, das mit Stand ist heute Morgen ein wichtiges Thema. Die Temperatur ist knapp über dem Gefrierpunkt und das Deck ist eisig, gleicht einer Rutschbahn, da der Schnee bzw. die Feuchtigkeit heute Nacht gefroren ist. Wir haben Strecktaue ausgebraucht, trotzdem ist der Erste schon ausgerutscht und hat sich kräftig Arm und Schulter gestaucht. Klar bei Frühstück.“ Kurz habe ich so bei mir überlegt, Schlittschuhlaufen war ich auch schon lange nicht mehr. Ob ich wohl unseren Bootsmann fragen soll, ob er nicht noch irgendwo in seinem Materiallager … das lasse ich mal lieber.
Apropos Material – die ganze Technik an Bord, das ist auch eine Nummer für sich. Gestern Abend, als wir in Bremen an der Pier lagen, hat Fred, einer unserer Bordmechaniker, eine Führung durch die Bordtechnik inkl. Maschinenraum – natürlich mit Gehörschutz – gemacht. Und das ist wirklich eine gute Gelegenheit, unserem Chief Ernst gemeinsam mit seinem Kollegen Fred ein großes Kompliment auszusprechen. Das ist eine völlig andere Komplexität, als ich es von zu Hause kenne: Hauptmaschine mit ca. 700 PS, 2 Generatoren für die Stromerzeugung, ein Motor für das Bugstrahlruder mit ca. 180 PS, Klimaanlage, Kühlhaus, Osmose-Wasseraufbereitungsanlage, die aus Salzwasser Trinkwasser macht, Heizung, Wasserkreislauf mit Boiler – ja, wir haben mit warmem Wasser geduscht – Vakuum-Anlage für die Toiletten – vergleichbar mit den bekannten System aus Flugzeugen und dem ICE der Deutschen Bahn. Wahrscheinlich habe ich bestimmt noch irgendetwas vergessen. Vor allem ist es aber so, dass alle Systeme, durch Luft und Salzwasser und der damit verbundenen Korrision, einem deutlich höheren Verschleiß unterliegen, als wir dies von zu Hause oder sonstigen Systemen kennen. In der ersten Woche unseres Törns schlug ständig irgendein Alarm an und irgendetwas ständig hat irgendwas gepiepst –da ich in der Kammer neben unserem Chief untergebracht war, kann kann das beurteilen, das Piepsen der Systeme war klar und deutlich vernehmbar. Bei einem Anlegemanöver hat auch unsere Maschine ´mal deutlich „gehustet“ und „gestottert“. Und so tauschten unsere beiden Bordmechaniker Filter aus, entlüfteten Anlagen, ersetzten Dichtungen und kalibrierten bzw. stellten Systeme neu ein oder führten jeweils ein Reset durch. Irgendwann funktionierten alle Systeme so, wie sie das sollen. Ob die zweite Woche des Törns für die Beiden dann Urlaub war – ich werde sie morgen Abend beim Captain´s Dinner mal fragen, aber erst nach dem zweiten Bier?!
Auf der Rückfahrt die Weser abwärts passierten wir wieder die Gorch Fock, aber darüber hatte ich ja gestern schon berichtet. Wir kamen auch an dem U-Boot-Bunker „Valentin“, häufig auch U-Boot-Bunker Farge genannt, vorbei. Dabei handelt es sich um ein im Bremer Ortsteil Rekum an der Weser gelegenes Bauwerk, das während des Zweiten Weltkrieges von 1943 bis März 1945 unter Einsatz von Zwangsarbeitern errichtet wurde, in dem U-Boote in Sektionsbauweise gebaut werden sollten. Es handelte sich um das größte Rüstungsprojekt der damaligen Kriegsmarine. Und wieder wurden wir mit der eigenen Geschichte konfrontiert, dieses Mal mit einem Antikriegsdenkmal, das bezüglich der Grausamkeit und Brutalität, denen die Zwangsarbeiter damals ausgesetzt waren und vor allem der Sinnlosigkeit und der Gigantomanie den Wahnsinn der damaligen Zeit deutlich macht. Auch das gehört zu einer Reise dazu. Wer eine Reise unternimmt, hat viel zu erzählen, nicht nur weil er viel sieht und erlebt, sondern auch, weil er viel lernt. Und dadurch zum Nachdenken angeregt wird!
Morgens vor dem Ablegen in Bremen hatten wir mit unserem ersten Steuermann Harald noch die Notruderübung durchgeführt. Dabei wird über Funk zwischen Brücke und Maschinenraum kommuniziert. Wenn z. B. die Steuerkette, die das Ruder an Deck mit dem Steuerblatt verbindet, gerissen ist oder wenn die Steuerhydraulik versagt, dann gibt der Steuermann aus dem Kartenhaus die Befehle, um wie viel Grad nach Backbord oder Steuerbord das Ruder gelegt werden muss. Richtig, das zu üben und wichtig zu wissen, dass es funktioniert und wie es geht.
Während unserer Fahrt flussabwärts fand nach dem Mittagessen Zeit eine Sicherheitseinweisung zur Benutzung des Atemschutzgeräts bei Feuer statt. Diese Geräte werden benötigt, damit durch die Rauchentwicklung bei Feuer trotzdem im Innern des Schiffs Bränd bekämpft oder Personen gerettet werden können. Das ist so ähnlich wie bei Tauchern, mit Maske und Lungenautomat und Einstellung der Luftmenge inkl. Verbrauch. Es ist auf der Alex-2 nicht nur an alles gedacht. Es ist alles vorhanden, es funktioniert alles einwandfrei und die Handhabung und Nutzung aller Systeme und Geräte wird vor allem regelmäßig geübt. Vorbildlich. Das hat mir die ganze Reise über immer ein gutes Gefühl, ein Gefühl der Sicherheit vermittelt.
Kurz vor 17 Uhr haben wir vor der Kaiserschleuse, der Schleuse, die uns den Weg zu unserem Ziel- und dem Stammliegeplatz der Alex-2 freigibt. Nachdem wir die Schleuse passiert hatten galt es noch, eine Klappbrücke zu passieren. Schon bei der Fahrt nach draußen vor fast 2 Wochen dachte ich so bei mir, die Durchfahrt an dieser Klappbrücke ist aber ganz schön eng. Wenn da Wind drauf steht … puh. Unmittelbar danach legten wir an. Da wir zwischenzeitlich geübt sind, klappte das Anlegemanöver vorbildlich. Wir sind nicht nur als Kameradschaft zusammengewachsen, sondern auch als Team. Morgen ist putzen angesagt. Ob ich mich darauf freuen soll? Und schon wieder kommt Wehmut auf.
07.04.2021, Rainer Merkhofer